Berlin, das ist nicht nur eine Stadt. Berlin ist ein Lebensgefühl, das man in jedem Winkel fühlen, riechen und schmecken kann. Berlin, das sind verpeilte Touristen auf dem Fahrradweg am Potsdamer Platz, 24 Stunden einkaufen bei Edeka am Nollendorfplatz oder eine U-Bahn, die am Gleisdreieck mal eben im 10 Minutentakt aus einem Haus heraus- oder hereinfährt.
Berlin bietet jedem einen Platz, an dem er sich regenerieren oder einfach mal vor der Welt abtauchen kann. Innovation, Toleranz, Individualität und Entwicklung sind in dieser Millionenmetropole direkte Nachbarn.
Am schönsten von all den Flecken, die Berlin zu bieten hat, ist der Mauerpark im Gleimkiez am Sonntag. Genau dort zeigt sich zu diesem Zeitpunkt das erwähnte Lebensgefühl für mich am treffendsten. Jeden Sonntag ist auf diesem Fleckchen Erde die Welt zu Gast bei Freunden. Dieser Werbeslogan der Fußball Weltmeisterschaft von 2006 findet an diesem Platz einmal in der Woche die Umsetzung, die er meiner Meinung nach braucht. Sobald man die U2 mit den anstrengenden Musikern eines Familienclans an der Eberswalder Straße verlassen hat, schiebt ein Strom von Menschen einen quasi direkt in den Mauerpark. Begleitet von lachenden Stimmen, einer freiheitsliebenden Atmosphäre und dem Gefühl des „hier bin ich richtig“, folgen meine Beine stets wie von selbst dem richtigen Weg.
Ganz automatisch durchflutet diese wohlige Gefühl meinen Körper. Ein Grinsen ist unausweichlich. Faktisch gesehen, bietet der Park einen Flohmarkt, eine Wiese und ein Amphitheater. Weltwelt gibt es mit Sicherheit mehrere solcher Orte. Sie sind bestimmt schön und bieten Familien einen Raum der Erholung. Ich möchte sie gar nicht negieren oder in den Schatten stellen. Inhaltlich jedoch ist genau dieser Park im Herzen von Berlin, der mit seiner Fläche, seiner Wiese und den Bäumen die ehemalige Grenze zwischen Ost- und Westberlin darstellt, so viel mehr.
Nirgends auf der Welt fühle ich mich so zu Hause wie dort.
Nirgends kann ich mich unter anderen Menschen so zeigen und fühlen wie dort.
Bei Sonnenschein am Sonntag im Mauerpark – das ist nicht nur einfach ein Lieblingsort. Es ist ein Gefühl, dass ich überall und jederzeit abrufen kann und es mir sofort Spaß, Wohlbefinden sowie Leichtigkeit durch meine Adern fließen lässt.
Sobald ich den Mauerpark betrete, haben Zeit und Raum eine andere Bedeutung. Um mich herum höre ich fremde Sprachen, die ich manchmal trotz meiner internationalen Reisen nicht mal klar zuordnen kann. Dennoch fühle ich mich heimisch, denn nahezu jeder spricht auch in deutsch mit mir. Ich bin ein Teil des Ganzen und habe nicht den Eindruck, Besucher zwischen den anderen zu sein. Schon oft habe ich zwischen diesen Menschen Kleingeld aus Ländern gefunden, in denen ich noch nie war. Das hat Seltenheitswert für mich. Für die Münzen habe ich eine extra Schale einer einer Kommode aufgestellt, damit der Eindruck des Surrealen verschwindet, wenn ich Ortsfremden von dem Treiben im Park berichte.
Alte Menschen und kleine Kinder tanzen allein oder gemeinsam über die Wiese. Manchmal kennen sie sich, meistens nicht. Es mutet fast schon esoterisch an, wenn ich die Bewegungen der Menschen genau unter die Lupe nehme. Eben noch in Anzug & Krawatte als Geschäftsführer oder als adretter Rentner einer Kleinhaussiedlung und schon hüpfen sie in bunten Baumwollhosen zu den verschiedenen Rhythmen der Musiker umher. In gemäßigten Abständen zeigen Künstler ihr Können. Niemand kommt dem Anderen in die Quere und es gibt kein böses Wort. Die Wiese ist vollständig von verschiedenen Musikgenres eingenommen, die zum Glück kein Ende finden. Der Geruch von Grillfleisch liegt in den Luft. Hunde suhlen sich im Gras oder beobachten das bunte Treiben ihres eigenen Rudels im Schatten der Bäume oder Sträucher. Riesenseifenblasen bewegen sich über die Wiese und überall stehen Kästen mit Bier zur Abkühlung.
Freiheit und Individualität bilden genau dort eine gelebtes Bild. Die Atmosphäre lässt mich buchstäblich meine Probleme ausatmen und macht in meinem Inneren den Weg wieder frei.
Ich liebe die selbstgemachten Süßkartoffelpommes, die es gleich links vor dem Flohmarkt gibt. Es ist mir nur dort schnurtz, wie lange ich dafür anstehen muss. Nirgends sonst auf diesem Planeten genieße ich die Zeit des Wartens. Die Leute hinter dem Tresen zu beobachten macht Laune und entbehrt jeder Kritik. Mit einer kalten Rhabarberschorle in der Hand ist mein Tag perfekt.
Die Menschen, die ich in dem Park kennengelernt habe und mit denen ich wunderbare Gespräche hatte, lassen sich nicht mehr zählen. Von niemanden habe ich die Kontaktdaten – aber das fühlt sich richtig an. So gehört es irgendwie.
Jeder Stress des Alltags ist vergessen. Die Herausforderungen im Job oder in der Familie haben Sendepause. Sie existieren nicht für die Zeit, die ich in dem Park verbringen darf.
Ja, so sehe ich das: ich darf die Zeit in dem Park verbringen. Wenngleich es ein öffentlicher Park ohne Zugangsbeschränkungen ist, so ist es dennoch ein morphogenetisches Feld für mich, an dem ich teilhaben darf, wenn ich dort bin.
Auf dem Flohmarkt habe ich noch nie etwas gekauft. Dafür gibt es eigentlich keinen wesentlichen Grund. Es hat sich einfach bisher nicht ergeben und es sind über die Jahre zunehmend kommerzielle Standbetreiber geworden. Das hat dem Flohmarkt etwas von seinem Charme genommen. Trotzdem bleibe ich an fast jedem Stand stehen und schaue mich um. Ohne ihn wäre der Mauerpark am Sonntag schlicht nicht vollständig. Ich brauche die Steine unter meinen Sandalen, die es nur auf der Fläche gibt, auch wenn ich manchmal kaum voran komme.
Die Schaukeln auf der gegenüberliegenden Seite liebe ich. Direkt auf dem Berg über Berlin schaukeln zu können, ist fast schon Luxus. Mit keinem Geld der Welt kann etwas erworben werden, was dem Gefühl auch nur nahe kommt. Der Geruch der Graffitisprayer direkt hinter mir in der Nase und einfach nur Schwungholen, um noch etwas höher zu schaukeln – das ist Lebensfreude pur.
Zu meinen Füßen werden gleichzeitig andere Menschen im Amphitheater zur Rampensau. Bei jedem meiner Besuche ist kaum ein Platz unter den Zuschauern zu finden. Jeder, der den Mut findet, dort zum Mikro zu greifen und sein Bestes zu zeigen, erhält einen fetten Applaus. Die Stimmung ist einzigartig. Mir ist es fremd, vor anderen zu singen, aber irgendwann werde ich mich das trauen.
PS: Danke Johannes, mein Lieblings-Gastautor 🙂